Sonntag, 22. November 2020

Ein Tag wird kommen (Guilia Caminito)

Ein Tag wird kommen (Guilia Caminito)
272 Seiten | € 23,00 [D] | Hardcover | 4,5, ♥︎
Verlag (Wagenbach) | pustet.de

INHALT
Eine italienische Familiengeschichte in Zeiten des aufkeimenden Faschismus, ein politischer Roman über Schuld und Anarchie, Widerstand und unverwüstliche Hoffnung – in einer Sprache, so zärtlich-rau wie die Liebe zwischen zwei Brüdern. Im Wald ist es warm und dunkel, als Nicola zitternd das Gewehr auf seinen geliebten Bruder Lupo richtet. Er bittet um Verzeihung, dann schießt er. Der Erste Weltkrieg hat Serra de’ Conti erreicht, ein Dorf in den italienischen Marken. An diesem Ort der Habenichtse zählt der Einzelne bloß, wenn er arbeitet, gehört keinem Bauern das Land, das er bestellt. In der Familie des Bäckers Ceresa überlebt kaum ein Kind, bald sind nur noch zwei Söhne übrig, so grundverschieden wie unzertrennlich: Nicola, der schwächliche Junge mit dem Prinzengesicht, und der aufsässige Lupo, der sich schon früh den Anarchisten anschließt. Unermüdlich beschützt Lupo den ängstlichen Bruder, kämpft gegen die Ungerechtigkeit der Mächtigen und die Märchen der Kirche. Doch zwischen den Brüdern steht eine Lüge, verborgen hinter Klostermauern. In wirkmächtigen Bildern von karger Schönheit erzählt Giulia Caminito »von unten« aus der Geschichte Italiens: von Malatestas Anarchisten, dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe bis zum Aufstieg Mussolinis – ein Roman über zwei ungleiche junge Männer und über den unerschütterlichen Glauben an eine bessere Zukunft.

DER ERSTE SATZ
Sie nannten ihn den Krumenbub, weil er der Sohn des Bäckers und weil er schwach war, er hatte keine Kruste, an der Luft gelassen, hätte er Schimmel angesetzt, nicht einmal für die Brotsuppe hätte er getaugt, nicht einmal als Hühnerfutter.

MEINE MEINUNG
Eine Kollegin hat mir dieses Buch zum Lesen gegeben- von mir aus hätte ich nie dazu gegriffen, obwohl der Inhalt mich durchaus angesprochen hat. Nach den ersten beiden Kapiteln war mir klar, dass mir dieses Buch gefallen wird. Auch wenn ich zu Beginn etwas Schwierigkeiten mit den verschiedenen Perspektiven und Zeitsprüngen hatte, so haben diese sich immer mehr zusammengefügt, sodass alles ein einheitliches stimmiges Bild ergeben hat. Insbesondere der wunderbar poetische Schreibstil hat es mir angetan (hier ein ganz großes Lob an die Übersetzerin Barbara Kleiner!), der die ganze Brutalität mit der die Protagonisten Lupo und Nicola seit ihrer Kindheit konfrontiert werden in einem ganz speziellem Licht erscheinen lassen. Die Autorin beschreibt authentisch und schonungslos die Gewalt, die Armut und die sozialen Missstände die in dem Dorf herrschen und nicht selten musste ich schlucken, da die von ihr gewählte Darstellung durchaus grafisch ist. Nichtsdestotrotz konnte sie mich genau damit fesseln.
Durch die Geschichte der beiden Brüder habe ich auch einiges über Italiens Geschichte erfahren, dass es neben dem ersten Weltkrieg, zu dessen Zeiten dieser Roman spielt, auch im Land politische und gesellschaftliche Umbrüche und Aufstände gegeben hat.
Interessant war auch die Entwicklung, die die beiden Protagonisten durchlaufen. Während Lupo zu Beginn der mutige und unabhängige Beschützer seines jüngeren, schwächlichen Bruders Nicola ist, so scheint es sich im Laufe der Handlung um hundertachtzig Grad zu drehen. Nicola durchlebt die Grauen des Krieges und vor allem der spanischen Grippe (letztere hat dem Buch einen erschreckenden Gegenwartsbezug gegeben und mich erschaudern lassen!). Lupo hingegen, der normalerweise immer die Konfrontation sucht, flieht, nicht nur vor den Grauen der Gegenwart sondern auch vor seinen Verlustängsten. 
Ebenfalls im Zentrum steht die Frage: Was macht eine Familie aus? Was ist überhaupt Familie? Dadurch, dass die beiden aus einer sehr zerrüttenden Familie stammen, in der mehr Hass und Depression als Liebe liegt, bekommt das Verhältnis der beiden Brüder und das Machtgefüge zwischen ihnen und dem Vater nochmal eine ganz andere Bedeutung.
Des Weiteren haben zahlreiche unerwartete Wendungen das Leseerlebnis sehr spannend gestaltet, vor allem, da man zunächst selbst versucht die einzelnen Puzzleteile und Andeutungen, die zwischen den Zeilen stehen, zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, das aber durch die Auflösung komplett umgeworfen wird.
Das Ende hat mich etwas unzufrieden zurückgelassen, da sich mir nicht wirklich erschlossen hat, was genau passiert beziehungsweise, dieses sehr offen gehalten ist. Hier hätte ich mir etwas mehr »rundes« gewünscht.

FAZIT
Ein wunderbarer Roman, der meiner Meinung nach viel zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Ein Tag wird kommen konnte mich mit seiner originellen Handlung und dem wunderschönen Schreibstil absolut begeistern. Ganz klare Leseempfehlung von mir!
4,5+ / 5 Herzchen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hi, ich freue mich über deinen Kommentar!
Spam, Beleidigungen & (Eigen-)Werbung- darunter fallen Blogvorstellungen, Gewinnspiele und Anfragen zum Gegenseiten Folgen- werden aber gelöscht. Also versuch es gar nicht erst ;)

Deinen Bloglink kannst Du aber natürlich dalassen- ich schaue gerne vorbei!